Der Hund und die seelische Gesundheit: Eine nicht wissenschaftliche Beobachtung

In den letzten Tagen habe ich mich durch unterschiedliche (wissenschaftliche) Artikel zum Thema psychische Gesundheit gelesen. Dabei habe ich nach Schnittpunkten gesucht, die Belegen können, dass Tiere und der Umgang mit jenen sich positiv auswirken kann. Ich bin fündig geworden, sogar im Bereich der Demenz wurden Hunde eingesetzt und verbesserten das Wohlbefinden der demenzerkrankten Teilnehmer zumindest zeitweise.

Die WHO definiert psychische Gesundheit wie folgt:

„Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft beitragen kann (…)“, WHO 2019.

Weiter ist belegt, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens mindestens ein Mal an einer depressiven Verstimmung leidet. Abgeleitet könnte man sagen: 

Unser aller psychische Gesundheit wackelt hin und wieder.

Ich bin weder Arzt, Psychotherapeut, Wissenschaftler oder Psychologe. Aber ich bin Betroffene. Daher sollte ich nur über meine Erfahrungen schreiben.

Der Hund als Job

Den ersten, eigenen Hund hatte ich gegen Ende meines Studiums. Ich hatte einen Job, den ich nicht schwänzen konnte: Den Hund. Während ich immer häufiger eine Vorlesung ausgelassen habe, musste ich mich um den Hund kümmern – ob ich mich danach fühlte oder nicht. Der Lernerfolg für mich und meine Psyche war: „Wenn du nur den ersten Schritt gemacht hast, machst du den nächsten. Und den nächsten. Und so ab dem 20. Schritt fühlt es sich plötzlich ganz gut an“. Dank der Routine und dieser Denkweise besuchte ich die Vorlesungen wieder. Es ist schon komisch, denn das gleiche Muster wenden wir im Hundetraining auch an. Wir wiederholen immer gleiche Muster, um dem Hund Verlässlichkeit, Beständigkeit und Sicherheit zu vermitteln.

Dein Handeln A hat immer die Konsequenz B.

Diese Stabilität bestimmt unter anderem eine verlässliche Hund-Halter Beziehung. Und in meinem Kontext einfach eine verlässliche Beziehung zu mir und meinem Umfeld.

Leah als Welpe

Ein müder Hund trainiert sich leichter

Manchmal sage ich im Training scherzhaft: „Ein müder Hund trainiert sich leichter“. Damit meine ich niemals, dass Hunde unkontrolliert ausgepowert werden sollen – ich meine damit, dass ein ausgeglichener Hund sich Aufgaben besser stellen kann, denn wie wir auch, ist er dann „im Reinen“ mit sich selbst. Ein Beispiel ist das „Alleine bleiben“. Oftmals empfehlen wir Hundehaltern das „Alleine bleiben“ nach einem halben Tag bei uns zu Hause zu üben. Idealerweise ist Hund ausgelastet, hat sich körperlich betätigt, noch etwas zu essen bekommen und würde jetzt ohnehin schlafen gehen. Das können wir im Training nutzen! Es wäre kontraproduktiv, diesem müden Hund jetzt noch große Denksportaufgaben zu geben. Aber „Alleine bleiben“ eignet sich sehr gut.

Gleiches Prinzip wende ich bei mir selbst an: Der Sport, der Energie nimmt und gibt. Genau deshalb komme ich heute auf dieses Thema, denn nachdem bei uns die Krankheitswelle geschlagen hat, mache ich seit 3 Wochen fast nichts mehr, das tut mir nicht gut. Was Sport meiner Erfahrung nach bewirkt, sind zwei Dinge:

  • Sport nimmt Energie, nämlich die körperliche, leistungsfähige Energie,
  • Sport gibt aber auch Energie, nämlich für die Psyche. Er macht „Platz“ im Kopf für neue Gedanken und reißt mich zumindest aus Endlosschleifen der Kritik, der Zweifel, der Ängste

Den Kopf in Bewegung halten

Dieser Punkt ist bei uns ein wenig konfliktbehaftet, denn jeder Mensch hat unterschiedliche Auffassungen davon, was ihm gut tut, wahrscheinlich auch abhängig vom Lebensalter und Erfahrungen. Während Tom ohne Probleme den „Kopf bei den Hunden schweifen lassen kann“, tue ich mich damit sehr schwer. Mein Kopf spult dann nämlich alte Denkweisen ab, zum Beispiel „nichts was du tust ist gut genug“. Wenn mir das in der Hundegruppe passiert, so spule ich ein anderes Muster ab, das ich irgendwann einmal gelernt habe. Ich suche mir einen Hund heraus und beschreibe sein Ausdrucksverhalten. Kopf, Ohren, Beine, Rute, Rücken, etc. immer in fester Reihenfolge. Ich betrüge mein Gehirn, weil ich es mit einer anderen Aufgabe beschäftige.

Das funktioniert übrigens auch beim Hund. Wenn ich mit Bonny laufen gehe, so sehe ich relativ gut, wann sie anfängt „Blödsinn“ zu denken, nämlich dann, wenn die Nase in einer bestimmten Art und Weise in Richtung Wald zieht. Ich beschäftige sie dann mit etwas, das mit mir zu tun hat. Wir longieren um einen Baum herum oder sogar mal um einen Gullideckel oder üben Abfolgen. Sie „vergisst“ dann gerne, was sie eigentlich vor hatte und ist gedanklich wieder bei mir.

Der Hund und das Nervensystem

Ich habe bei einer Fortbildung mal eine Dame kennengelernt, die Hunde für Menschen mit PTBS ausbildet. Zum Beispiel lernen diese Hunde sich bei einer Panikattacke des Menschen auf eben jenen zu legen, möglichst großflächig. Das Gewicht und der Druck auf den Körper sollen das Nervensystem beruhigen. Selbsterklärend, dass das wahrscheinlich weniger gut mit einem Pekinesen funktioniert, ich habe es aber mit unserem Littlefoot ein paar Mal ausprobiert. Der ist nämlich tatsächlich sehr schwer und liegt gerne „auf irgendwas drauf“.

Tom in seiner Mitte

Kurz vor dem Marathon

Akim bewunder das SUP

Die Gleichförmigkeit einer Bewegung

Wie beim Joggen auch geht es beim Standup Paddeln um eine immer gleichförmige, ruhige Bewegung. Die Uniformität der Bewegung, die immer gleiche Abfolge, wirkt auf mich beruhigend und ausgleichend. Anders, als beim Joggen strengt es mich deutlich weniger an und entspannt daher den Geist. Das weit nach Vorne sehen, den Blick lang lassen, die aufrechte Haltung und die immer gleich bleibenden Paddelschläge. Hinterher (weniger währenddessen) komme ich fast nimmer mit irgendeiner recht guten Idee um die Ecke. Erstaunlich finde ich, dass auch unser sehr energetischer Rüde beim Paddeln sehr ruhig, konzentriert und ausgeglichen scheint obgleich er, außer sein Gleichgewicht selbstständig zu halten, keine Aufgabe hat. Littlefoot und Kilian sind beide vorne drauf auch schon eingeschlafen. Kilian behauptet sogar, er schläft nirgends so gut, wie beim Paddeln. Das wiegt ihn nämlich so schön.

Die guten Lösungen der letzten Jahre: Und das letzte Puzzleteil

Das letzte Puzzleteil das mir fehlt, ist Ruhe. Ironisch dabei ist, dass wir insbesondere den Welpen als aller erstes gerne beibringen möchten, in Ruhe zu sein und zu verweilen. Denn „aufputschen“ kann ich jeden Hund, kann ich ihn aber auch wieder in einen entspannten, gelassenen, ruhigen Zustand bringen? Meine Hunde schon – mich selbst nicht. Das schaue ich mir jetzt wahrscheinlich auch bei unseren Hunden ab, einfach mal umfallen, einschlafen, fertig.

Zusammenfassend wollte ich damit sagen: Tiere und auch Hunde sind Bindungspartner, um die wir uns kümmern. Wir umsorgen sie, denn sie bleiben ein Leben lang in unserer Abhängigkeit. Sie fördern unser Mitgefühl anderen gegenüber und lehren uns, Verantwortung zu übernehmen. Wir lernen mit und von ihnen und wenn wir dazu bereit sind, schaffen wir eine tierische Kameradschaft, die bis zum Ende bleibt. Dass wissenschaftlich abgesichert ist, dass die Gemeinschaft mit einem Hund die psychische Gesundheit positiv bedingt, sollte uns dazu anregen zu überlegen, wie das Leben für uns persönlich mit Hund aussehen soll, sodass es der eigenen psychischen Gesundheit dienlich ist.

 

Der Hund als Spiegel

Beitrag_Spiegel

Oder doch nicht? Wir alle haben schon einmal auf ein Hund-Halter Team geschaut und gedacht: Das passt irgendwie. Die sind sich ähnlich, die „spiegeln“ sich irgendwie.

Aber ehrlicherweise sehen wir diese Paare seltener in Hundetrainings. Wir sehen die Teams, die ein deutliches „Thema“ miteinander haben und manchmal ist es das genaue Gegenteil von dem, was die Menschen sind.

Wir haben sehr reaktive Hunde an der Leine erlebt mit recht schüchternen Hundehaltern. Der Hund spiegelt hier seinen Halter nicht – er ist das genaue Gegenteil. Während Frauchen oder Herrchen jedem Stress gerne einfach aus dem Weg gehen möchte, vermutlich auch im Leben und im Alltag, sehen wir einen Hund, der brüllt: „Ne, ich hab keine Angst und ich bin auch nicht unsicher – ich hab einfach grad richtig Lust auf Streit!“. Auch wenn das die wenigsten „Leinenrambos“ sind, es gibt sie – und dann gerne mit recht zart beseelten Haltern. Halter, die ein echtes (Über-) Bestreben nach Harmonie, Ruhe und Entspannung haben. Die beim Gassi gerne einfach nur die Seele baumeln lassen möchten, ohne einer Menschenseele zu begegnen. 

Stattdessen sind sie angespannt und unter Strom, immer mit beiden Augen auf ihrem Hund und der nächst möglichen Katastrophe um die Ecke

Weil bei uns Training über das klassische Konditionieren hier und umorientieren da hinausgeht, schauen wir, wenn auch ohne das zu kommunizieren, immer tiefer. Vielleicht stellt sich hier die Frage: „Was darf ich von meinem Hund lernen?“, „welchen Streit traue ich mich nicht auszufechten?“ oder auch „was traue ich mich nicht zu sagen?“. Über-Harmoniebedürftige Menschen vermeiden Konflikte und Konfrontationen und stolpern dann, spätestens, wenn sie eben genau diesen Hund ihr Eigen nennen, über ihre eigene Strategie.

Falsche Harmonie ist der Deckel auf dem heißen Topf!

Kirstin Nickelsen

Wenn man dem Gedanken ein wenig Zeit gibt und sich darauf einlässt, kommt man vielleicht zu der Erkenntnis: Greift mein Hund vielleicht eines MEINER Bedürfnisse auf? Und führt das vielleicht zu der Überlegung: „Dein Thema ist auch mein Thema“?

Das spricht von Hundetraining natürlich nicht frei. Aber es erweitert ein wenig den Horizont sich auch zu überlegen:

Wer hat hier eigentlich mit was welchen Konflikt? Oft möchte ich Hundehaltern sagen: Ein Blick auf deine Themen würde dir helfen. Obgleich ich persönlich finde, dass jeder Mensch mindestens einmal im Leben auf eine Therapiecouch gehört, ist es etwas, was ich den Menschen nicht einfach mitgeben darf. Ich bin für ihren Hund da. Also hoffe ich einfach, dass sie selbst irgendwann denken: Mensch, vielleicht schau ich mir das Thema nochmal mit einem Therapeuten/Coach/Hypnotiseure oder wem auch immer an.

Bei eben diesen Teams treffen wir dann auch auf sowas, wie: „Was denken die Nachbarn über mich, wenn die uns zwei so sehen“ Tja, das wissen wir auch nicht, wir wissen aber, dass es uns etwas über den Halter sagt: Wer das anspricht dem ist wichtig, was sein Umfeld von ihm denkt. Und es schließt sich der Kreis des Strebens nach Harmonie. Für diese Menschen bekomme ich einen besseren Zugang, denn Tom ists wirklich komplett egal, wer was von ihm denkt. Ferner noch, er kann nicht nachvollziehen, dass jemand das anders empfinden könnte.

Selbsterklärend, warum Tom es schwerfällt, für uns Menschen, die Wert darauf legen, was andere von ihnen halten, ein Mitgefühl zu haben.

Beneidenswert. Oft, wenn ich nicht schlafen kann, weil ich mir Gedanken mache, was meine Kunden wohl von mir denken, wenn ich ihnen auch mal schonungslos deutlich sage, dass es wirklich großer Mist ist ohne Regeln und Strukturen einem reaktiven Hund, der keine Strukturen kennt, 2 Stunden den Ball in die Felder zu werfen.

Ich gehe Menschen auch oft aus dem Weg, weil ich mir eben keine Gedanken darüber machen möchte, wer jetzt eigentlich gerade was denkt. Die Mühle in meinem Kopf gibt dann keine Ruhe, also flüchte auch ich vor der Konfrontation. Dann kann ich mich nämlich auf wichtige Dinge konzentrieren: Meine Hunde, meine Arbeit & meine Familie.

Deshalb gebe ich ehrlicherweise Konflikte mit Dritten oft an Tom ab – und bin einerseits dankbar, dass ich „davon gekommen bin“ und andererseits traurig, weil ich mich wieder nicht getraut habe.

Naja, da lerne ich noch, dass es irgendwie „wurscht“ ist wer was denkt. Solange wir uns morgens mit gutem Gewissen im Spiegel betrachten können.

Wir dürfen alle etwas Neues lernen – über unsere Hunde, über uns und über die Welt. Darüber, wie wir Dinge sehen und welche Meinung wir zu bestimmten Themen haben.

Wir wachsen – das dürfen unsere Hunde auch. Und am besten wachsen wir gemeinsam und aneinander.

Denn ohne Reibung keine Entwicklung.

Unsere besten Ideen entstanden aus Konflikten und gegenseitigem Herausfordern der Haltung und Meinung des anderen - aber dazu ein anderes Mal.

Dieses Hund-Halter Team haben wir übrigens weiterhin begleitet. Die Halterin begleitet seither ebenfalls eine Therapie. Wir, die Halterin und ich, haben übrigens immer noch nicht miteinander gestritten. Wer den Witz findet, darf ihn behalten.

„Schon komisch. Wir können uns nur von außen sehen, dabei passiert fast alles innen“

Charly Mackesy: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd